Als Politiker 1951 ein Gesetz schmiedeten, das Hausbesitzer in Fällen der Zerstörung von Sanierungspflichten befreit, hatten sie kurz nach Kriegsende wohl Bombenangriffe im Kopf - nicht Verfall. 70 Jahre später hat der BGH zum Umgang mit „Problemimmobilien“ entschieden.
Für Mitglieder einer Eigentümergemeinschaft, die gegen Widerstand der anderen Wohnungen oder Gebäude sanieren wollen, sind das gute Nachrichten: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Pflichten zur Sanierung mit einem am Freitag verkündeten Urteil weitgehend gestärkt und nur wenige Ausnahmen zugelassen. Der Eigentümerverband Haus & Grund betonte, dass sanierungswilligen Besitzern der Rücken gestärkt werde: Sie bekämen nicht nur grünes Licht. Sie blieben nach der Entscheidung auch nicht alleine auf ihren Kosten sitzen. Alle Mitglieder der Gemeinschaft müssten sich daran beteiligen. Der Immobilienverband Deutschland (IVD) betonte, niemand könne sich wegen Sanierungsstaus rausmogeln. (Az. V ZR 225/20)
Mangelnde Instandhaltung oder Überalterung entbinden Eigentümer ebenso wenig von ihren Sanierungspflichten wie hohe Kosten, wie die Vorsitzende Richterin des fünften Zivilsenats, Christina Stresemann, erklärte. Nur Zerstörung durch punktuelle Ereignisse könne dafür Grund sein. Als Beispiele nannte sie Brände, Überflutungen und Explosionen. In manchen Fällen sind Schäden dann nicht versichert.
Paragraf 22 des Wohnungseigentumsgesetzes lautet: „Ist das Gebäude zu mehr als der Hälfte seines Wertes zerstört und ist der Schaden nicht durch eine Versicherung oder in anderer Weise gedeckt, so kann der Wiederaufbau nicht beschlossen oder verlangt werden.“ Stresemann erläuterte, um den Wertverlust beurteilen zu können, brauche es einen Vorher-Nachher-Vergleich. Im Falle eines Brandes etwa sei das kein Problem. Bei jahrelangem Verfall und Sanierungsstau hingegen gebe es keinen geeigneten Zeitpunkt, zu dem man die Werte der „Problemimmobilien“ vorher und nachher bemessen könne.
Das Karlsruher Urteil sei wohl für die meisten eine gute Botschaft, sagte der Bundesgeschäftsführer von Haus & Grund, Gerold Happ, der Deutschen Presse-Agentur. Eigentümer könnten nicht darauf spekulieren, dass sie eine Immobilie verfallen lassen und an der Stelle etwas Neues bauen können. Ob die Entscheidung nun dazu führt, dass viele Sanierungen beginnen und sich womöglich Mieten erhöhen, bleibe abzuwarten und hänge wohl in erster Linie von den finanziellen Verhältnissen der Eigentümer ab. Mieter hätten ohnehin den Anspruch, dass etwa ein marodes Treppenhaus saniert wird, sagte Happ.
Wie viele Fälle deutschlandweit von dem Urteil betroffen sind, ist unklar. „Schrottimmobilien gibt es viele“, sagte der stellvertretende IVD-Bundesgeschäftsführer Christian Osthus. Die Konstellation einer Eigentümergemeinschaft mit unterschiedlicher Interessenslage sei aber speziell. Nach seiner Einschätzung kommt ein derart fortgeschrittener Verfall auch eher bei ungenutzten Gebäuden vor. Dass ein bewohntes Wohngebäude behördlich für unbenutzbar erklärt werde, dürfte eher die Ausnahme sein. Aus seiner Sicht ist es gut, dass der BGH den Begriff der Zerstörung eng ausgelegt hat. Sonst hätten unter Umständen viele Streits gedroht, ob der Grad des Verfalls einer Zerstörung gleicht. „Es ist gut so, dass jetzt Klarheit herrscht“, sagte Osthus.
Mit der Entscheidung gab das oberste deutsche Zivilgericht einer GmbH Recht, der drei von elf Etagen eines baufälligen Parkhauses mit 550 Stellplätzen in Augsburg gehören. Sie will diese weiter an ein Hotel vermieten. Die anderen Eigentümer - darunter zwei Großeigentümer - hatten wegen Mängeln beim Brandschutz mehrheitlich ein Nutzungsverbot für das gesamte, mehr als 40 Jahre alte Parkhaus beschlossen, wodurch Besuchern eines nahen Kongresszentrums Parkmöglichkeiten fehlen. Der Klägerin wurde gestattet, die Mängel auf eigene Kosten zu beseitigen.
Mit einer Klage dagegen war die GmbH bisher vor Gerichten gescheitert. Das Landgericht München I hatte zuletzt entschieden, dass ausnahmsweise auf die Sanierung verzichtet werden könne. Deren Kosten würden auf 4,9 Millionen Euro geschätzt. Das sei über eine Million mehr, als das Parkhaus noch wert sei. Die Revision vor dem BGH hatte nun Erfolg, ein dauerhaftes Nutzungsverbot per Mehrheitsbeschluss sei rechtswidrig. Damit könnten sich Eigentümer nicht vor zwingend nötigen Sanierungsmaßnahmen drücken.
Im Grundsatz könnten Wohnungseigentümer zwar ein Nutzungsverbot beschließen, das sich auf das gemeinschaftliche Eigentum bezieht, wenn damit Gefahren abgewehrt werden, erklärte Richterin Stresemann. Dafür gebe es aber enge Grenzen, zwingende Gründe seien nötig. „Nach dem normalen Sprachgebrauch ist ein Gebäude nur dann zerstört, wenn seine Nutzbarkeit ganz oder teilweise aufgehoben ist, nicht hingegen deshalb, weil eine Sanierung hohe Kosten verursacht.“
Quelle: dpa